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Architektur im 19. Jahrhundert

Ein bemerkenswertes Beispiel für Romanzement, die Kirche Saint-Merry in Paris (75), Frankreich


Der Anfang

Es war einmal eine Kapelle mit dem Namen Saint-Pierre des Bois … Der Pfarrer von Saint-Martin in Autun, Medericus (Merry), lässt sich mit seinem Begleiter Frudolph in einer Rekluse in der Nähe nieder; die beiden waren gekommen, um zu den Gräbern der Heiligen Dionysius, Germanus und Genoveva zu pilgern. Am 29. August 884 werden die außerhalb der Kirchenmauern aufbewahrten Gebeine des hl. Medericus ausgegraben. Eine neue Kirche wird von Eudes le Fauconnier (dessen Name immer noch auf der Bodenplatte im Chor der heutigen Kirche eingraviert ist) gebaut und dem hl. Peter wie auch dem hl. Medericus geweiht.


Viel später… unter der Herrschaft von Louis-Philippe und Napoleon III. Eine in den Jahren 1835 bis 1856 geführte Kampagne, die Bewegung zur Rettung historischer Denkmäler und das unter Napoleon unterzeichnete Konkordat, wie auch das Paris des Präfekten Rambuteau, in dessen Zeit die Modernisierung der Stadt nach Plänen von Haussmann eingeleitet wird, sind eine Erklärung für die Baustelle, die uns interessiert, nämlich die Fassade aus der Zeit des Wiederaufbaus der ursprünglichen Kirche, deren Bau durch die stetig wachsende Pfarrgemeinde im Paris von Francois I erforderlich wurde.


Der dreiportalige Eingang in der Rue Saint-Martin ist reich verziert und aus einer Vielzahl von Baldachinen, Fialen, Wandarkaden und Steinfriesen zusammengesetzt. Nur die mit Blendarkaden und Falttechnik geschmückten Flügel des großen Mittelportals stammen aus dem 16. Jahrhundert. Die Assoziierung zwischen Personen, Blattwerk und Tieren ist so bemerkenswert, dass sie historisch erscheint. Den Restauratoren sind Restauration, Rekonstruktion und Neuschöpfungen durch Inspiration gelungen.


 

Der Zement von Vassy, ein Steinbruch im Avallonais beliefert Paris

1830 - Der frühere Notar, M. Gariel, Amateur-Geologe, analysiert Steine aus Gegenden, in denen andere Forscher glaubten, Schiefer finden zu können. Er brennt einige Proben, die sich unmittelbar nach Erlöschen des Feuers in Pulver auflösen. Dem Erfinder kommt eine Idee - er macht das Produkt wie Kalk an. Der Mörtel bindet sehr schnell ab und das Resultat ist, wie ihm scheint, besser. Romanzement ist härter und bindet sowohl an der Luft als auch im Wasser ab. Schon bald werden Brennöfen und Mahlwerke gebaut.


Das neue Material wird rasch getestet und zum Verputzen eines mit Last versehenen Ziegelgewölbes eingesetzt. In der Tat, der Mörtel aus Romanzement verleiht eine so große Festigkeit, dass die Mauerdicke entscheidend reduziert werden kann. Die Bedeutung dieser Entdeckung und deren Anwendungen sind auf einen jungen Tiefbau-Ingenieur aus Avallon zurückzuführen, der die ersten Einsätze in der Region leitet und später von Paris aus die revolutionäre Entwicklung des Romanzements bei allen großen Bauvorhaben des Second Empire fortführt.


 

Romanzement - Gestaltungselement der Zeit

Kommen wir zurück auf die Kirche Saint-Merry. Das 1835 eingeleitete Restaurationsprogramm umfasst die Wiederherstellung der Figuren und die Reparatur der Dekorelemente. Aus dem 16. Jahrhundert stammen das innere Kordongesims am Mittelportals mit der Darstellung von Eichenblättern und Eicheln, Weinreben, Weinranken und -trauben und Fabelwesen, desgleichen die Kordongesimse an den beiden Seitenportalen mit einem Musikanten und seinem Dudelsack auf der rechten Seite, die Hauptwimpergschrägen mit Wirsingkohl- und Weinbergschnecken-Darstellungen und - in Teilen - das Gesims auf der ersten Ebene mit Distel- und Distelblattwerkfriesen, ein Mann mit Kopfbedeckung und Fagott, Fabelwesen und schließlich Zierblenden, die das Fries zwischen Wimperg und Fialen mit einem gestürzten Engel ausfüllen, und noch mehr Weintrauben und wieder einige Fabelwesen usw.


In Saint-Merry wird Romanzement für zwei Anwendungen eingesetzt, den Abguss und den Ausgleichsputz. Der Archäologe Ferdinand de Guillermy schreibt am 12. November 1840 an das Bildungsministerium: „Unter den Gewölbependentifs am Portal von Saint-Merry … sind Figuren aus Kunststein angebracht, die nach dem Vorbild der Figuren am Südportal von Notre-Dame gegossen wurden.“ Der damalige Architekt M. Godde fügte ein „Teufelchen“ in die Gewölbespitze am Hauptteil ein, „Baphomet“, so benannt nach einem Buch von Amblain aus dem Jahr 1939. Zu diesem Bild, das angeblich ein Abbild des Idols der Templer ist, ist schon viel Tinte geflossen. - Im Jahr 1856, der Architekt der Diözese war seinerzeit Baltard, wurde M. Vageois, Unternehmer in Paris, 32 rue Saint-Paul im Marais, einbestellt, „um alle am Portal vorhandenen Gesimsprofile mit Vassy-Zement ... nach dem Vorbild gotischer Ornamentik zu erneuern“.


Zu bemerken ist, dass die 1842 in Auftrag gegebene Apostelprozession, d. h. die gesamten Figuren unter Baldachinen auf beiden Seiten des Hauptportals wie auch über den beiden Seitenportalen, von den beiden Bildhauern Brun und Desprez aus dem Kalkstein von Saint-Maximin gefertigt wurden. Seit dem Ende des vorausgehenden Jahrzehnts wurden gegossene Figuren im Gewölbe angebracht. Zu jener Zeit ist das Südportal, das Portal Saint-Etienne de Notre Dame, noch nicht durch die Werkstatt des Bildhauers Geoffroy-Dechaume restauriert oder rekonstruiert worden. In der Tat ist man beim Vergleichen auf sechs Objekte und Bearbeitungen gestoßen, die direkt nach Abdruck modelliert wurden: ein Mönch und ein Priester mit einem geschlossenem Buch sowie ein Ordensmann mit aufgeschlagenem Buch, ein Bischof und die beiden Heiligen Laurenz und Georg. Die anderen zwölf Figuren aus dieser Achtzehner-Reihe sind nachgestellt - ein schönes Beispiel für eine Neuschöpfung. Sie stehen entweder auf Sockeln aus Originalstein oder sind an der Wand angebracht.


Der Mörtel von Vassy, „ockergelb, leicht rosa mit feinem Gefüge“ (so der Bericht von Bruno Perdu aus dem Jahr 2001), der seine Härte behält, auch wenn Rieselwässer seine Oberfläche allmählich verändert haben, ist „ein Mörtel mit hydraulisch wirkendem Bindemittel (Kalk?), der mit einem kalkhaltigen Sand (gemahlenem Stein?) gemischt wird und mit dem Zement von Vassy kompatibel ist“ (so der Bericht). Der Mörtel ermöglichte die Verfugung des Mauerverbandes, die sorgfältige Reparatur verschiedener Absplitterungen und Kantenbeschädigungen und so die gute Wiedergabe der Reliefs und die gute Wiederherstellung der fortlaufenden Ornamente wie Gesimsfriese, Wimperg-Schrägen und -laibung, Baldachine, Konsolen und Würfel zur Unterstützung der Figuren im Sockelbereich am Hauptportal, Bogenlauf, Konsolen und Baldachine zur Aufnahme der Figuren, Konsolen und Wimperge an den Seitenportalnischen, Baldachine und Konsolen an den Strebepfeilern.


Der ursprüngliche Stein aus Saint-Leu wurde mit dem Meißel für die Aufnahme des Ausgleichsmörtels vorbereitet. Für das Anbringen von umfangreicheren oder vorstehenden Elementen wurde der Mörtel mit Eisenteilen bewehrt. Der Ausgleichsputzmörtel und der für den Abguss eingesetzte Mörtel scheinen sich sehr zu ähneln, also gleicher Herkunft zu sein. „Der Kopf des linken oberen Engels ist heute zerbrochen; jetzt haben wir verstanden, dass die Figuren nach dem Guss für das Anbringen an der Wölbung mit dem Werkzeug ausgehöhlt wurden“ (heißt es im Bericht). Der Mörtel ist immer zur Stelle und das Vertrauen der Akteure dieser Restaurierung, die eine bedeutende Bewegung einleitet, so groß, dass Schäden beim Anbringen bestimmter Figuren aus der Apostelprozession mit Romanzement wieder behoben werden.


 

Zemente … Fragen und Antworten

Wenn die Restaurierungsbaustelle unter der Leitung von Jean-Francois Legrand, leitender Architekt der Historischen Denkmäler und Mitglied der Jury des Geste d’Or, die Qualität sowohl des Materials als auch der Einsatzfähigkeit des Romanzements bestätigt, kann sie sich dabei auf beste Kenntnisse und die Erprobtheit des Produktes wie auch auf bewährte, alte und neue Technologien stützen. Bei der Analyse hat sich im Übrigen herausgestellt, dass später noch, in den Jahren 1925/28, weitere Ausbesserungsarbeiten vorgenommen worden sind. In den Unterlagen ist die Rede von einem metallischen Zement, doch konnten weder die physikalischen und chemischen Eigenschaften noch die Herkunft eindeutig definiert werden. Es bleibt noch viel zu tun, ein spannendes Thema.


Pascal Payen-Appenzeller 
Schichtenkundler Kulturerbe
Mit Dank an Jean-Francois Legrand